Langlebigkeit und das Leben im Moment! Lebe für dich! Sonja Schneider & Herbert Sich
1230 Wien
Was Bio anbelangt, gilt Österreich als Vorreiter in der EU.
Nirgendwo sonst in Europa gibt es so viele Bio-Bauern, wie in unserer schönen Alpenrepublik.
Und längst schon bewegen sich hier die Erzeuger und die Konsumenten biologischer Lebensmittel weg vom Image der alternativen Körndlbeißer - hin zu einem lukrativen Wirtschaftszweig … der wohin führt?
Ein dreiviertel Jahrhundert
…ist es her, da wurden in Kärnten die ersten biologisch-dynamischen Höfe gegründet, initiiert vor allem durch landwirtschaftliche Neueinsteiger und Konsumenten. Diese kleinen „Gemischtbetriebe“ verkauften ihre Produkte direkt ab Hof, auf Bauernmärkten oder über den Naturkosthandel. Ihr Vorbild sorgte für eine langsame aber stetige Entwicklung.
War es Ende der Sechziger- bis in die Siebziger-Jahre noch ein kleiner, „erlauchter“, meist schlapper- oder latzbehoster Kreis von Bio-Freaks, der sich im Besitz eines (ja fast) „Geheimwissens“ über Körndlfutter und biologisch angebautes Gemüse wähnte, setzte wenige Jahre später der große Bioboom in Österreich ein - ausgelöst durch staatliche Förderungen.
1991 wurden dann vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft bundesweite Umstellungsförderungen eingeführt. Und schon 1996 nahm Österreich eine europäische Spitzenreiterfunktion beim biologischen Landbau ein.
Trotzdem ist Biobauer in Österreich zu sein, auch nicht ganz einfach: Gegenüber der Höchstzahl an landwirtschaftlichen Bio-Betrieben im Jahr 1998 verringerte sich die Anzahl bis 2001 um 9,1 Prozent - wobei diese Betriebe allerdings 10,6 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Österreich bewirtschaften.
Bio - ein Schlagwort, das längst keins mehr ist?
Gut so, möge man meinen: Bio hat sich am Markt etabliert. Ja natürlich, wir können Bio heute genau so einfach konsumieren, wie alle anderen Konsumgüter. Dahinter verbirgt sich eine gut organisierte Wirtschafts- und Marketingstruktur. Ganz oben steht eine verbandsübergreifende Organisationsplattform für den ökologischen Landbau, die „ARGE (Arbeitsgemeinschaft) Biolandbau“. Ihre Mitglieder sind der größte Verband „ERNTE für das Leben“ und sechs weitere Verbände. Außerdem gibt es noch einen zweiten Dachverband, die ÖIG (Österreichische Interessengemeinschaft) mit einigen kleineren Verbänden, wie z.B. „Ernte & Saat“.
Von den rund 20.000 Biobauern in Österreich sind mehr als 60 % im Anbauverband „ERNTE für das Leben“ organisiert, 27 % haben sich anderen Verbänden angeschlossen. Somit ist ERNTE der mitgliedsstärkste ökologische Anbauverband Europas. Er wirbt in allen Medien, und er setzt auf emotionale Werbung, um eine größtmögliche Zielgruppe anzusprechen. Weg vom „Körndlfresser“, hin zu „Lebenslust statt Körnerfrust“, heißt der ERNTE-Slogan. Und damit stecken wir schon mitten drin in dem Rad, das sich immer schneller dreht und uns eigentlich nur eines verkauft: Die Angst, nicht dabei zu sein. Gerade in diesem sensiblen Bereich - und ich wage es, ihn als sensibel zu bezeichnen, denn es handelt sich hier immerhin um die Natur - kann es doch nicht so einfach sein, den Einkaufs-wagen vor sich herzuschieben und ihn mit Sicherheit anzufüllen. Oder doch?
Quantität statt Qualität?
In Österreich hat bereits jede große Handelskette des Lebensmitteleinzelhandels eine dominierende Bio-Marke. Sie alle setzen in der Vermarktung auf positive Stimmung - der Mehrwert einer ökologischen oder biologischen Erzeugung wird dabei nur selten oder teilweise vermittelt. Bio ist in - und überall zu haben! Langfristig führt dies natürlich zu einer mangelnden Preisakzeptanz beim Kunden. Verbandszeichen sind nur in Einzelfällen am Produkt abgedruckt, direkte Verbindungen zu den Bauern somit gar nicht immer erkennbar. Der Biobauer als kleinster Nenner wäre eigentlich beliebig austauschbar. Große Handelsketten können mit ihrer Machtstellung die Einkaufspreise wesentlich mitgestalten und sicher sein, dass die Bio-Verbände alles daran setzen, die Handelsbeziehung langfristig zu wahren. Trotzdem, einen Riesenvorteil hat diese Vermarktungsschiene: Es werden zwar für die Bauern nicht die höchsten Preise erzielt - durch die Quantität des Warenverkaufs werden jedoch das Umsatzvolumen und der Erlös gesteigert. Und keine Direktvermarktung im großen Stil würde hierfür eine Alternative darstellen.
Die einwandfreie Qualität der Bio-Produkte in den Supermärkten ist jedenfalls und angeblich gesichert - nicht nur über EU-Richtlinien, sondern auch durch darüber hinaus gehende Richtlinien der Verbände. Chemiefrei, gentechnikfrei, nachvollziehbare Warenströme…
Aber wo ist denn nun wirklich jener Bauer, der diese Saat gesät hat, dieses Gemüse, dieses Getreide, dieses Rind (-fleisch) großgezogen hat?
Der Anästhesist als konsequenter Biobauer
„Weißt du, das hochwertigste Gemüse steht im Garten des alten Mutterls, die es hegt und pflegt“, beteuert mir Felix Hingsamer. Er sitzt mir gegenüber, hat sich die Zeit genommen, nach einem langen Arbeitstag noch vorbei zu kommen, um mit mir über das Thema BIO zu reden. Felix steht jeden Samstag auf unserem Bauernmarkt (s. Bild Mitte) - egal ob’s regnet, schneit, der Wind ihm um die Ohren pfeift oder die Sonne ihn blendet, er ist da. Seit 17 Jahren ist er Bio-Getreide-Bauer im Verband Erde & Saat. Zweimal pro Woche fährt er auf den Markt, mehr ist zeitlich nicht drin. Bevor er Biobauer wurde, war er 25 Jahre Pflegeleiter der Anästhesieabteilung an einem Landeskrankenhaus. Meine brennenste Frage an Felix:
Gibt es an BIO überhaupt noch etwas zu definieren?
„Ja, denn „Bio“ heißt viel mehr als nur „chemiefrei“. Ein wesentlicher Eckpunkt ist die Schwingung der Pflanzen. Wir brauchen gesunde Informationen, für unser Leben und für unseren Geist. Jede Religion spricht von „Mutter Erde“ als Quelle allen Lebens - genau dahin müssen wir wieder gehen. Die Energie der Pflanzen lässt sich durch Chromatologie (Steigbildfotografie) sichtbar machen - darum nimmt sich nun auch die Wissenschaft schön langsam an. Es ist mittlerweile schon wissenschaftlich nachweisbar, dass im Hausgarten umsorgte Pflanzen (natürlich chemiefrei) die höchsten Schwingungen haben. Oder anders ausgedrückt: Je sorgsamer eine Pflanze aufgezogen wird, desto besser wird ihre positive Information für unseren Körper.“
Du sprichst hier von der Ganzheitlichkeit, von der Mutter Erde bis hin zur Tischkultur…
„Ja genau, von der Quelle allen Lebens - auch vom Wasser als Hauptbestandteil jeden Lebens. Alles ist in Bewegung, Wasser in seiner atomaren Struktur, Licht als Transformator… die Saat trägt alle Botschaften in sich. Auch die jenes Menschen, der sich um sie kümmert, noch mit dem Grundgedanken, dass er sie braucht.
Und in letzter Instanz dieser Kette steht, wie dieses Lebensmittel zu den Menschen kommt. Es macht schon einen wesentlichen Unterschied, ob ich mir meine Nahrung aus dem Regal im Supermarkt hole oder am Marktstand direkt vom Erzeuger. Was der Konsument daraus macht, das ist dann letztendlich, was ihn nährt, seinen Körper, seine Seele…“
Sehen das eigentlich deine Kunden auch so?
„Nur ein kleiner Teil ist sich dessen bewusst und schätzt diese höchste Form der Ernährung - eigentlich müsste es dafür eine andere Bezeichnung als BIO geben. Der größte Teil der Kunden schätzt einfach die Sicherheit der österreichischen Landwirtschaft. Für mich ist das erschreckend, denn es ist ein sicheres Zeichen, dass sich der Mensch nicht mehr mit dem Leben an sich beschäftigt, dass er sich weit entfernt hat von Mutter Erde. Es sind aber gar nicht nur die Konsumenten, die sich von diesen Wurzeln entfernen, es sind leider auch die Bauern selbst.“
Du zeichnest hier aber ein sehr negatives Bild… und eigentlich ist diese Form der Ernährung doch für kaum jemanden lebbar…?
„Ich weiß, trotzdem bin ich kein Extremist. Es gibt auch nur ein paar naturverbundene Spinner mit denen man darüber reden kann. Doch es geht einfach auch darum, dranzubleiben. Es geht darum, das Bewusstsein zu erhalten. Selbst wenn wir darum trauern, dass diese Verbundenheit mit der Natur nicht in allen Konsequenzen lebbar ist, so bleibt doch die Nabelschnur zu ihr erhalten und wir bleiben im Fluss des Lebens.“
Alles schön und gut, wie sieht aber dann dein Alltag, die Praxis aus?
„Für mich als Getreidebauer sind die Hygienevorschriften relativ leicht umgesetzt. Das größte Handicap ist nach wie vor der „Amtsschimmel“. Besonders schlimm ist es, wenn die Biokontrolleure anmarschieren. Ihr Misstrauen gibt einem richtig das Gefühl, unmündig zu sein… wenn man mit ihnen über die Felder geht und sie fragen, warum es hier kein Beikraut (Unkraut) gibt. Manchmal habe ich den Eindruck, es geht hier auch um Angstmache, es geht darum, auch noch die letzten Freigeister unter den Bauern unter Kontrolle zu bringen.“
Kann man damit und davon leben?
„Ja, man kann - und es gibt nur diesen Weg. Denn wenn der Mensch nur mehr tote Nahrung zu sich nimmt, dann ist er bald verloren. Er verliert seinen Glauben - die Natur ist für ihn dann nicht mehr erkennbar, und er weiß auch nicht mehr, woher er kommt und wohin er geht.“
Klein, fein, kosmisch teuer
Biobauer Felix steht als Biobauer hinter dem Demeter-Verband - für ihn die Königscrew der Bioverbände. Als Gründer dieser anthroposophischen Bioszene gilt Rudolf Steiner, in die Grundprinzipien des Demeter-Verbandes sind sowohl kosmische Kräfte, wie auch die Heilkräfte der Pflanzen und ihrer Auszüge mit einbezogen. Demeter-Produkte werden weltweit vor allem über Bioszene-Läden (natürlich nicht ganz billig…) vermarktet. Ein Phänomen am Rande: bei uns in Österreich, im Land der Biohochkultur, hat sich Demeter weder als Verband, noch mit seinen Produkten wirklich durchgesetzt und ist nur sehr spärlich vertreten.
Direktvermarkter fallen übrigens auch aus den alljährlichen Statistiken, sie gelten wohl immer noch als diese Freigeister, die man nicht zu fassen kriegt. Gut so, denn dann können wir sie auch weiterhin besuchen, am Markt oder auf ihren Bauernhöfen und sie auch mal fragen „Wie geht’s?“ oder „Wie läuft die Ernte?“ oder „Was wächst heuer besonders gut?“… Und damit regelt sich hier Angebot und Nachfrage noch im Kleinen, im persönlichen Kontakt zwischen Erzeuger und Konsumenten, ganz natürlich - und die „Chemie“ stimmt.
Autorin: Judith Ahewat
Jg. 1962, allein erziehende Mutter von 3 Kindern (18, 17, 15), war 10 Jahre tätig als Tagesmutter und freiberufliche Schmuckdesignerin, heute freie Journalistin mit Ausbildungen an der Journalistenakademie und in Werbe- und Webdesign. Hobbys: „Immer noch meine Kinder, Kunst (Malerei, Musik, Lesen…) und Sport (Laufen, Skaten, Mountainbiken, Bergsteigen).“
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